Rotkardinal (Cardinalis cardinalis) Foto: Dakota L. - Own work, CC BY-SA 3.0

Birmingham, AL #05

Hallo liebe Freunde,

letzten Freitag wurden weitere Möbel von Ikea angeliefert und deshalb habe ich einen Home Office Tag gemacht. So habe ich am Freitag auch den Kammerjäger erlebt, denn mein Vermieter hatte für Freitag Pest Control angekündigt. Er hat vorbeugend irgendetwas auf dem Fußboden in Bad und Küche versprüht und hinter Kühlschrank und Herd. Aber ich konnte danach wenigstens ausreichend lüften.

Zum Frühstück hat mein Balkongeländer ein knallroter Cardinal besucht, den ich auch in der Umgebung schon häufig gesehen habe.

Neben dem Aufbau von Bett Hemnes und Ablagen im Wohnzimmer war das letzte Wochendende dann sehr kulturell geprägt. Am Freitagabend startete es mit dem Auftakt-Konzert des Soundedge-Festivals im Iron City. Die Musik des Alabama Symphonie Orchestra (ASO) plus NYCO (eine Rock/Pop Band aus Los Angeles) war gefälliger Mainstream-Pop mit Orchester-Weichspüler. Das ungewöhnlichste Stück des Abends war Beethovens Große Fuge, die das ASO ohne Pop-Band gespielt hat. Trotzdem hat sich der Besuch gelohnt, denn die Band hat Spaß gemacht und das Iron-City ist ein toller Raum, mit klasse Bar-Angebot (mindestens 15 Craft-Biere). Für leise Musik ist er aber weniger geeignet, weil die Lüftung laut rauscht, die Bar laut klappert und das Publikum gerne und laut quatscht. Zum ersten Mal habe ich hier erlebt, daß beim Bezahlen der Drinks unter $ 10 Bargeld bevorzugt wurde. Mit geschätzt ca. 300 Gästen war es sehr entspannt besucht und ich hatte einen Sitzplatz mit Tisch auf der Empore. Die Veranstaltung hat nur ca. 75 min gedauert und nach kurzem Applaus war ohne Zugabe um 2100 Schluß.

Am Samstag gab es Experimentelleres im Plattenladen Seasick Records, z.B. die Solo-Performance des androgynen Saxophonisten Jacquie Cotillard und 2 Stücke von John Cage, gespielt von Iron Giant Percussion. Der Gebraucht-Schallplattenladen hat aber auch einen Friseursalon zu bieten, siehe Foto. Gegen 5 $ Spende gab’s Eintritt und Dosenbier frei. Es war ständiges Kommen und Gehen mit max. 50 Gäste im Laden, aber höchstens 30 waren die ganze Zeit da (nach meinem Eindruck die Musiker und deren Freunde).

Sonntag ging es im Saturn weiter mit dem Soundedge-Festival. Das Saturn ist eine spacige Location mit viel 70er-Jahre Weltraum-Deko, Saturn-V-Modell unter der Decke, Raumschiff Enterprise auf dem Bildschirm, jede Menge Brettspielen und alten Flippern und Spielautomaten. Genau gegenüber liegt die Avondale Brewery, die hervorragende Craft Biere braut und ausschenkt. Im Veranstaltungsaal ging es um Graphische Notationen mit Ausschitten aus Musik von John Cage bis György Ligeti (Artikulation), umrahmt von fünf Ausschnitten aus Treatise von Cornelius Cardew. Gespielt wurde alles von ca. 10 Musikern, darunter auch alte Bekannte vom Abend vorher bei Seasick Records. Die einzelnen Ausschnitte waren wenige Minuten kurz und auch hier dünnte das Publikum während der Veranstaltung aus. Die Aufmerksamkeitsspanne der Amerikaner scheint kurz zu sein. An der Bar habe ich Tim aus Atlanta kennengelernt, der zwar seit 15 Jahren hier lebt, aber auch keinen guten Jazz-Club in Birmingham empfehlen konnte.

Seit heute Montag habe ich sogar einen US-Führerschein und entgegen früherer Aussage mußte ich dafür doch keine Prüfung machen. Damit habe ich nun auch den offiziellen US-Personalausweis, denn die Führerscheinbehörde stellt tatsächlich auch reine ID-Cards aus (ohne Fahrerlaubnis) und hier kann man sich auch ins Wählerverzeichnis eintragen lassen (nur US-Bürger). Sie ist also genau das, was bei uns Meldebehörden sind.

Morgen und übermorgen möchte ich noch zwei Konzerte des Soundedge Festivals besuchen und Donnerstag geht es für vier Tage zurück nach Deutschland, um mit meinem Vater Geburtstag zu feiern. Wie gut, daß es bei der Arbeit für mich weiterhin noch ruhig ist.

Gruß aus Sweet Home Alabama