Birmingham, AL—Signing off

Weihnachtsdeko, Herbstlaub
und andere Merkwürdigkeiten

In Alabama hat sich erst Ende November das Herbstlaub sichtbar gefärbt. Die Temperaturen lagen bei Sonnenschein aber auch oft noch über 20 °C. Gleichzeitig hatten wir seit Anfang November in klaren Nächten auch immer mal wieder leichten Frost bis -2 °C.

Im Red Mountain Park werden immer mehr Maxi-Sitzgarnituren aufgebaut, so daß ich nochmal das Foto aus meinem Blog-Beitrag vom März 2017 auf einem anderen Sitz nachstellen konnte.

Die amerikanischen Trucks sind schon eine tolle Sache: bei Regenwetter hat man seinen Schwimmteich immer mit dabei.

Seit Halloween gibt’s zunehmend kitschige Deko zu sehen, die zwischen Erntedank, Weihnachts-Klischees, Disney-Figuren und Schnee-Träume changiert. Und alles muß groß oder viel sein oder beides: der kunterbunte Weihnachtsbaum vor der Hoover City Hall ist knapp zehn Meter hoch. Der kleine Tempel steht auf der nördöstlichen Ecke der Kreuzung von Interstate 65 und Highway 31. Und auch die Lobby bei SMP bekommt kitschige Geschenk-Deko.

Phrasen der Woche
  • In violent agreement – Diskussion trotz inhaltlicher Übereinstimmung (vielleicht: Streit um des Kaisers Bart)
  • PFSOP (Pick Fly Shit Out of Pepper) – übertrieben pingelig sein
Wohnungsauflösung

Von Ende Oktober an habe ich damit begonnen, meine Zelte hier abzubrechen: Nachsendeauftrag verkürzt, Möbelabholung organisiert, Rückflug und Mietwagen reserviert, Hotel in Hoover für die letzte Nacht in Alabama reserviert. Strom, Internet, Wohnungsversicherung, Vermieter, Fitness Studio gekündigt. Die Kündigungsfristen in den USA sind übrigens meist umgekehrt zu den Gepflogenheiten in Deutschland definiert: nicht »spätestens bis« sondern »frühestens ab« (dreißig Tage vor Auszug) – alles sehr spannend.

Ein paar Haushaltsgegenstände wandern in den Müll, etwa die verfärbten Kaffeetassen von Ikea (schlechte Glasur), zwei verfärbte Teekannen (auch von Ikea) oder mein über zwei Jahre zerschnittenes Brotschneidebrett. Im Vergleich zu den Unmengen an Einweggeschirr, die ich in den letzten zwei Jahren bei den Food-Trucks bei SMP verbraucht habe, ist das vernachlässigbar. Alles andere geht zusammen mit ein paar Vogel-, Baum- und Wanderbüchern als Spende an die Community Furniture Bank.

Vor der letzten Nacht habe ich noch mein Bett zerlegt (das Gästebett war schon zwei Wochen früher dran), damit es ohne Schäden an den Türrahmen aus der Wohnung getragen werden kann. Und mit einigem Aufwand ließ sich meine restliche Habe in drei Koffer plus Rucksack und Laptop-Tasche verstauen. Ein Koffer mit ungenutzter Kleidung, Büchern und Andenken war schon bei meinem letzten Besuch in Freiburg geblieben.

Nachdem ich gegen 2100 die beiden großen, schweren Koffer im Mietwagen verstaut hatte, bin ich gefühlt noch zwanzigmal durch die Wohnung gelaufen und habe immer wieder etwas gefunden, das noch nicht verräumt war: Dreifachstecker im Schlafzimmer, Küchenhandtuch am Herd, Eiswürfelschale im Gefrierfach. Am Morgen fallen plötzlich noch die Hausschuhe auf…, wohin damit?

Der letzte Tag

Am letzten Morgen in Vestavia Hills war Panera Bread meine Frühstücksadresse: Breakfast Sandwich (Bacon, Egg, Cheese) und einen großen Kaffee Cappucino Style. Pünktlich um 0900 kam Chris von der Community Furniture Bank mit zwei Helfern und nach eine knappen halben Stunde war alles im Lastwagen verstaut. Zu Glück hatte ich Geschirr, Gläser, Handtücher, Bettwäsche handlich verpackt, zumindest in Tragetüten, denn zum Verpacken hatten die Jungs gar nichts dabei. Laut Chris wollten sie meinen Hausstand unmittelbar zu einer Frau transportieren, für die sie zwar eine Wohnung gefunden hätten, aber eben unmöbliert – prima.

Danach: Wohnungsschlüssel und Internet-Router abgeben, nochmal zu SMP um den US-Laptop zurückzugeben, ein Mittagessen im Golden Temple und nachmittags Check-In für die letzte Nacht im Holiday Inn in Hoover. Abends soll es noch mit ein paar Kollegen zum Essen gehen, die auch im Holiday Inn wohnen und morgen um 1352, also um 2052 MEZ, geht mein Flieger von Birmingham über Atlanta nach Frankfurt.

Was bleibt von zwei Jahren in Alabama?

Ein paar Mitbringsel, wie beispielsweise meine Eisengußschale, flüssiges Englisch, eine Festplatte mit Fotos und viele tolle Eindrücke vom Leben und Arbeiten in den Südstaaten, etwa das Zusammentreffen mit den durchweg sehr freundlichen und kontaktfreudigen Menschen, aber auch ein Einblick in die formelhaft künstliche, 100% ökonomisch determinierte Welt der (Südstaaten-) Amerikaner, die größten Wert auf positive Selbstdarstellung legen.

Aber auch: die Sehnsucht nach Freunden und Familie, nach wahrhaftigem, aufrichtigem Leben und ehrlicher Sprache, nach anspruchsvoller Kultur, nach Wandern in richtigen Bergen und eine klarere Vorstellung davon, was ich zum Wohlfühlen brauche und was mir im Leben wichtig ist, nämlich: Freunde, Musik und Aufrichtigkeit.

Oder: das angenehme Wohnen in Vestavia Hills in meiner funktionalen Achtzigquadratmeterwohnung, die sich gut kühlen (Klimaanlage), heizen (Warmluft) und lüften (Balkontür) ließ, mit praktischen Wandschränken, einer funktionale Küche und einem großen Gästezimmer.

Wichtig: Alabama scheint nicht gleich USA zu sein, wie mir Kollegen aus Michigan bestätigen und wie auch Uta & Mäx von Ihrer Reise an die Ostküste berichtet haben.

Tolle Reisen und Unternehmungen

Zweimal war ich übers Wochenende zum Wandern in den Great Smoky Mountains, zweimal am Strand am Golf von Mexico (Pensacola, FL, und Dauphin Island, AL). Ein paar tolle Städte in anderen Bundesstaaten konnte ich besuchen: Orlando (Kennedy Space Center), Baltimore, New Bern (Outer Banks), Memphis, Chattanooga, New Orleans.

Aber auch in Alabama habe ich viele Höhlen, Wasserfälle und Canyons besucht, nicht zuletzt auch die State-Parks in der Umgebung Birminghams: Ruffner Mountain, Red Mountain, Oak Mountain, Lookout Mountain, Cheaha Peak (Alabamas höchster Berg). Mein erster Ausflug im Februar letzten Jahres ging natürlich nach Huntsville ins US Space and Rocket Center. Und das tolle Barber Motorsports Museum in Leeds mit seinem schönen Rennkurs hat mich immer wieder angezogen.

Kultur

Anfang 2017 habe ich gleich drei tolle Events erlebt, die sich so 2018 nicht wiederholt haben. Die Vernissage von Third Space im Birmingham Museum of Art, das Sound Edge Festival des Alabama Symphonic Orchestra und das Secret Stages Festival downtown Birmingham. Außerdem war ich zweimal beim Sloss Festival und wiederholt bei den Drum Circles des Schlagzeugers John Scalici (eine Handvoll Dauergäste kannte ich dann schon).

Ein wiederkehrendes Highlight waren die monatlichen Poetry Slams Bards & Brews, besonders der Outdoor-Termin auf dem Friedhof Oak Mountain Cemetary, siehe meinen damaligen Blog-Beitrag. Und ebenfalls zur Kultur zählen für mich die tollen Craft Breweries in Birmingham. Die neueste, erst am 10. November eröffnete Nummer Sieben habe ich auch noch ausprobieren können: Birmingham District.

Bei Konzerten fiel mir die im Vergleich zu Europa eher schwache Leistung der Musiker (aus Alabama) auf und die enorm vielen Helfer und Securities. Die eindrucksvolleren Konzerte boten jedenfalls Musiker aus New York, wie Kamasi Washington, Antoni Pirog oder Oceanator.

Und bei der Arbeit?

Es bleibt das Privileg einer einmalig risikoarmen Gelegenheit, solch intensive Auslandserfahrung zu sammeln (volle Kostenübernahme mit Rückfahrschein). Viel positive Rückmeldung von meinen Mitarbeitern und innerhalb der Organisation. Die Erfahrungen mit dem Hire and Fire in den USA: ich mußte zwei Mitarbeiter entlassen, drei haben von sich aus gekündigt. Das Erleben bedeutender Eigenschaften meiner amerikanischen Kollegen:

  • Entdeckermentalität (»Ich traue mir alles zu – auch ohne Erfahrung«),
  • unbegründeter Optimismus (»Wir bekommen das hin – auch ohne Fachwissen«) und
  • Teamgeist (»Wir müssen als Team zusammenarbeiten, dann klappt es sicher – auch ohne Organisation«).
  • Und: persönliche Beziehungen sind viel entscheidender für den Erfolg in der Arbeitswelt als klare Organisation mit eindeutigen Funktionen, Rollen und Verantwortungen.

Negativ: Leider hatte ich im März eine Art Mini-Burn-Out: gut eine Woche lang war ich völlig depressiv und habe schon nach professioneller Hilfe gesucht. Glücklicherweise konnte ich auch ohne ärztliche Hilfe Entlastung finden: ich habe viel mit Freunden und Kollegen in Deutschland telefoniert und bei der Arbeit mehr auf Aggression umgeschaltet.

Und was werde ich vermissen?

Die langen Ladenöffnungszeiten einschließlich sonntags, Bankgeschäfte auch am Samstagvormittag erledigen, die tollen Craft Breweries, den entspannten Autoverkehr und ein paar tolle, junge Mitarbeiter.

Was erwartet mich in Deutschland?

Der kurzperiodische Komet 46P/Wirtanen erreicht am 16. Dezember sein Perigäum, den erdnächsten Punkt, und sollte vom 12. Dezember (Perihel, also sonnennächster Punkt) an mit bloßem Auge hoch am Südhimmel im Sternbild Stier zu sehen sein. Zum Glück ist es in Freiburgs Süden viel dunkler als in Birmingham.

Eine neue Waschmaschine muß ich kaufen (meine alte ist nach nur zwanzig Jahren kaputtgegangen 🙂 ) und meine Satellitenantenne muß ich reparieren, damit ich wieder HiFi-delen Radioempfang mit meinem Restek DVB-S Radiotuner habe.

Und vom 7. Januar an werde ich mich bei SMP Deutschland um neue Aufgaben im Bereich Produktentwicklung kümmern.

Aber bis dahin erstmal: drei Wochen Urlaub zuhause 🙂

 

 

5 Gedanken zu „Birmingham, AL—Signing off“

  1. Hallo Günther,

    ein sehr schöner Abschlußbericht. Wir freuen uns für dich, daß du das Abenteuer fast gut überstanden hast.

    Viele Grüße
    Thilo & Ute

  2. Hallo Günter, ich freue mich, wenn wir uns in Freiburg wieder regelmäßig treffen.
    Wünsche Dir eine gute Heimreise und hoffentlich auf bald…

  3. Lieber Günther,
    ich hoffe Du bist wohlauf zurück und freue mich Dich wieder »live« zu sehen! Danke für den wunderbaren Bericht, der uns an Deinem US-Abenteuer hat teilhaben lassen.
    Drücker aus BAD zum 3. Advent
    Karin

  4. Lieber Günther,
    Danke für deinen aufschlussreichen und detaillierten Blog. Eigentlich konnte ich dank deiner Berichterstattung bei all meinen Vorurteilen über Amerika das Vor streichen…;-)
    Ich freue mich auf unser Wochenende!
    Liebe Grüße von Götz aus Braunschweig

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